Philosophie und Religion
Deutsch-Chinesische Konferenz – 19. bis 22. Juli 2010
Das Thema „Philosophie und Religion“ ist seit einigen Jahren von hoher Aktualität und Popularität. Die starke Wiederkehr des religiösen Interesses in der modernen Gesellschaft ist nicht mehr zu übersehen. Ob man dabei von einer Religiosität der „post-säkularen Gesellschaft“ (Jürgen Habermas) spricht oder von einer „Erschütterung“ des lange für unaufhaltsam und unumkehrbar empfundenen Prozesses der Säkularisierung (Kardinal Lehmann) – die Rückkehr der Religionen ist längst nicht mehr eine Frage der Patchwork-Religiosität, sondern Ausdruck einer religiösen Orientierung, die als individuelle und persönliche Orientierung gegen den Konformismus und Wertepluralismus der Moderne eingesetzt wird. Vor diesem Hintergrund will die Konferenz das Verhältnis von Religion und Philosophie neu thematisieren und dabei versuchen, eine Denktradition zu Wort kommen zu lassen, die – wie bei der ostasiatischen – die Trennung von Philosophie und Religion nicht kennt. Die Formen der Religiosität, wie sie in China, aber auch in Korea und Japan praktiziert werden, unterscheiden sich so grundlegend von denen der westlichen Religiosität, dass man in ihr möglicherweise „verborgene Entscheidungen erhellen [kann], die die europäische Vernunft getragen haben und die diese gerade deswegen nicht hinterfragen kann“ – so die streitbare These von François Jullien.[*1] Der Exklusivitätsanspruch westlicher Religionen und ihre Rivalitäten werden von den (agnostischen) Religionen Ostasiens nicht geteilt. Religionen ohne ein Transzendenzverhältnis können aber offensichtlich doch ein ‚religiöses Bedürfnis befriedigen. Wenigstens beim religiösen Bewusstsein kann man daher vermuten, dass das Bedürfnis‘ dazu eine anthropologische Konstante ist. Auch in China ist eine deutliche Revitalisierung der traditionellen Religionen zu bemerken (so Tong Shijun und Liu Zhongyu in China Daily vom 5.12.2007).
Diesem Bild der Religiosität korrespondiert eine Geisteswissenschaft in Ostasien, die bis heute durch das Vorurteil geprägt ist, pragmatisch, phänomenologisch und rein diesseits orientiert zu sein. Der systematischen Wahrheitssuche, die sich mit dem westlichen Philosophiebegriff verbindet, stehe eine Gelehrsamkeit gegenüber, die eher als „Weisheit“ zu bezeichnen sei und die sich konkret im pragmatischen Umgang mit den Religionen, dem Fehlen institutioneller Glaubensrichtungen und konfessioneller Konflikte, aber auch der relativ untergeordneten Bedeutung auswirke, die Erkenntnistheorie und Logik in den Kulturen Ostasiens spiele. Dieses Bild ist durch eine moderne, kulturwissenschaftlich ausgeprägte Geisteswissenschaft differenziert und modifiziert worden, die die Verschränkung von Selbst- und Fremdwahrnehmung, von Adaption und Abgrenzung als wichtigste Konstituente, auch besonders der geisteswissenschaftlichen Kooperation, in den Vordergrund rückt.[*2] Statt von einem fernöstlichen Synkretismus zu sprechen, ist es sinnvoller, von Geltungshorizonten und deren Institutionalisierung, von Netzwerken und Hybridbildungen zu sprechen, deren Tradition die Spaltung von Mythos und Logos, Glaube und Wissen, Theologie und Philosophie nicht hervorgerufen, sondern assimiliert hat.