Claudia Bickmann, Universität zu Köln

Philosophie und Religion – Wechselverhältnis in der Differenz?
Eine Fallstudie

Wechselverhältnis in der Differenz? Wonach wird gefragt, wenn Religion und Philosophie als komplementäre Seiten eines Verhältnisses betrachtet werden? Ist es nicht – so in der neuzeitlichen westlichen Philosophie – weitgehend unbefragter Konsens, dass sich weder philosophische Reflexion gegenüber religiösen oder spirituellen Instanzen mehr verantworten muss (oder - angrenzend an ihre eigenen Möglichkeiten – ihr Gewordensein aus einem unverfügbaren göttlichen Prinzip gemahnt); noch auch das spirituelle oder religiöse Streben sich von einer autonom gewordenen Vernunft reglementieren lassen will, als habe jene die Deutungsmacht bezogen auf Fragen nach den letzten Bestimmungsgründen unserer Existenz? Gegenläufig zu dieser Diagnose nun spricht der Titel meines Vortrages beiden Seiten eine wechselseitige Beeinflussung oder gar Abhängigkeit zu, als könne erneut als innerlich verschränkt gelten, was längst getrennte Wege geht.

Wenn wir die Idee eines Wechselverhältnisses somit zur Sprache bringen, so wird vorausgesetzt, dass eine gänzliche Trennung oder gar Indifferenz beider Sphären gegeneinander entweder nicht geglückt sei oder nicht glücken konnte.

Hat, so lautet die Frage, die abendländische Philosophie vielleicht die Motivlagen der Religionen in ihrem eigenen Horizonte nur transformiert, nicht aber überwunden? Beruht ihre Suche nach einem begrifflichen Fundament unseres Wissens und Handelns, ihr Ringen um letzte oder zureichende Gewissheiten nicht vielleicht auf einem Selbstmissverständnis bezüglich der Idee vollständiger Klarheit und Durchsichtigkeit im Medium des Begriffs?

Ebenso umgekehrt: Ist es vielleicht ein Selbstmissverständnis der Religionen, Gewissheit ohne sie interpretierende Gedanklichkeit und Durchdringung in Anschlag bringen zu wollen?

Der Blick auf solche Traditionen, in denen man - in einem näher zu bestimmenden Sinne – von Religionen nicht sprechen kann, erhellt, dass sich hier beide Seiten: die begriffliche differenzierende wie auch die auf Evidenz beruhende, prä-prädikative Dimension in unserem Selbst- und Weltverhältnis gar nicht so weit voneinander entfernt halten.

Der Versuch meines Vortrages, Nagajurnas tetralemmatisches Dilemma als eine Disjunktion vierer sich ausschließender Prämissen oder leitender Grundsätze unseres Denkens als Heuristik der Annäherung an ausgewählte europäische Entwicklungslinien der Philosophie ins Gespräch zu bringen, wird einen Hinweis auf eine tieferliegende strukturelle Schwierigkeit geben, die verschiedenen Traditionen der abendländischen Beschreibung des Verhältnisses von Religion und Philosophie zugrunde liegt.

Nicht darum mögliche Problemfelder oder Gegenstandsbereiche innerhalb der Philosophie, sondern die Philosophie selbst sowie ihre Versuche, sich gegenüber Mythos und Religion als eine eigenständige Disziplin zu behaupten, ist somit das Thema der folgenden Überlegungen. Am empfindlichen Nerv ihrer Selbstauslegung als einer Erster Wissenschaft, als Weltanschauung, als Liebe zur Weisheit, als Reflexionswissen etc. wird sie bezogen auf den unabgegoltenen Rest ihrer Erbschaft aus Mythos oder Religion befragt.

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