Hans Feger, Freie Universität Berlin

Entweder Philosophie – Oder Religion
Zur Grenzüberschreitung bei Schelling und Kierkegaard

Ich will in meinem Vortrag die Frage nach dem paradoxen Verhältnis von Religion und Philosophie nicht vorschnell anthropologisch auflösen, auch wenn diese Herangehensweise in der interkulturellen Diskussion heute aktuell ist, sondern mich ontologischen Voraussetzungen zuwenden, die durch das anthropologische Faktum oftmals unbeantwortet bleiben, für es aber durchaus relevant sind. Dahinter steht weniger die Skepsis gegenüber der Grundfrage, wie wir uns als Menschen verstehen, wenn wir unsere religiösen Horizonte philosophisch hinterfragen, als vielmehr der Versuch, einen nicht auf Gründe bezogenen Wahrheitsbegriff, wie ihn noch Heidegger von der Tradition übernommen hat, wieder in den Blick zu bekommen, und ihn auf seine anthropologische Relevanz hinsichtlich der Frage nach der Wahrheit der Religion befragen. Von anthropologischer Relevanz ist nämlich die Theogonie Schellings, an der Heidegger die ontologische Differenz von „Existenz“ und „Grund von Existenz“ studiert. Schelling gibt allerdings dieser Differenz im Unterschied zu Heidegger eine theologische Grundlage, und zwar mit Hilfe des ontologischen Axioms, dass jede Existenz notwendig eines Grundes bedarf. Mit dieser Differenz zwischen Existenz und Grund von Existenz gelingt es Schelling, einen Begriff von Gott zu denken, der anthropologisch relevant ist und der dennoch nicht die Einheit, die diesen Begriff in der europäischen Tradition auszeichnet, aufgibt. Kierkegaard wird an diese Unterscheidung anknüpfen, doch statt sie in einer außerzeitlichen Selbstsetzung zu verankern, versteht er sie im Sinne der aktuellen Selbstentscheidung des Einzelnen. In seiner Stadienlehre beschreibt er eine Persönlichkeitsentwicklung, die den paradoxen Grundkonflikt von Religion und Philosophie tragisch reformuliert und die ihn erst durch den Sprung in den Glauben auflöst, mithin durch die Anerkennung, dass Transzendenz in der Immanenz existiert. Die Frage, ob zum Menschsein ein überpersönliches Moment gehört, dessen wir erst am Ende der Persönlichkeitsentwicklung gewahr werden und das wir dort auch erst als wesentliche Bedingung für den Prozess des Selbstwerdens anerkennen können, ist die Pointe seiner Existenzphilosophie, die sie über ein „provisoirement“ (Sartre) hinaushebt.

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